Die schönsten Märchen zu Ostern (Hörspiel)

Die schönsten Märchen zu Ostern

Information zur Umsetzung:
Eine wunderbare Sammlung von Märchen passend zur Osterzeit in diese Hörbuch von YouTuber Tandaniel der Geschichtenweber.

Für eine Zeit, wo Hasen, Mümmelmänner, Langohren, ganze Hasenbanden, ach was, Armeen vorkommen! Manchmal um Eier zu bringen, manchmal um durch die Vergangenheit zu führen. Zudem macht sich der Frühling so langsam breit und mit ihm beginnt wieder das Leben nach der kalten Zeit.

Mit den Märchen reist man durch die verschiedensten Länder, zu unterschiedlichsten Epochen und Lebewesen, um Geschichten von Magie, Abenteuern, Freuden und dem Leben selbst zu lauschen.

Vielleicht eine Idee für die Arbeit mit den Teilnehmern, das einen oder andere Märchen während der Beschäftigung anhören konnte. Vielleicht ist das ja auch bei den einen oder anderen von Euch das, so Hörspiele besser klingt, als wenn man es selber vorliest. Wie bei mir ;)
 
 
"Die schönste Märchen zu Ostern"

00:00:00 Was Großvater Stumpfzahn erlebte (Else Ury)
00:22:52 Der Hasenhirt (J.W. Wolf)
00:49:43 Das goldene Gänse-Ei (H. Wördemann)
00:53:46 Das hässliche Entlein (H.C. Andersen)
01:23:13 Peter Hase (Beatrix Potter)
01:32:18 Stumpfschwänzchen und Samtfellchen (Else Ury)
01:52:53 Die Gänsemagd (Brüder Grimm)
02:09:55 Däumelinchen (H.C. Andersen)
02:43:07 Der verschimmelte Osterhase (H. Wördemann) 
 
 
In der PDF Datei sind folgende Märchen:
Was Großvater Stumpfzahn erlebte (Else Ury)
Der Hasenhirt (J.W. Wolf) 
Das hässliche Entlein (H.C. Andersen) 
Die Gänsemagd (Brüder Grimm)
Däumelinchen (H.C. Andersen)


Was Großvater Stumpfzahn erlebte (Else Ury)
Na, Gott sei Dank, nun ist die ganze Gesellschaft glücklich mit ihren Körben, Kiepen und Säcken zur Erde hinauf, nun wird's wieder hübsch ruhig im Nest!« seufzte Großvater Stumpfzahn erleichtert und humpelte zu seinem großen Lehnstuhl hin. Ja, die Vorbereitungen zum lieben Osterfest, dieses Gehetze und Gejage machte einen ganz nervös, das war nichts mehr für solch greisen Hafen wie er. Er fühlte in seinem zerschossenen Bein ordentlich die aufregende Zeit. Au – wie das zog und stach – da hatte er doch richtig wieder sein Podagra.

Ganz dicht an das knisternde Herdfeuer schob er seinen Großvaterstuhl, zog seinen warmen, braunen Schlafrock fest um die dünnen Beinchen, steckte sich die lange Holunderpfeife an und sah über die große Hornbrille unzufrieden zu seinem jüngsten Enkelchen hinüber.

»Springinsfeld,« rief er verweisend, »laß die zerbrochenen Ostereier liegen, du reißt dir Splitter in deine Pfötchen. Mach' doch nicht so wilde Sätze, Kind, du wirfst mir ja die ganzen Farbentöpfe herunter. Sieh nur, deinen schönen, braunen Samtanzug hast du total verdorben – dein Schwänzchen ist blitzblau, und hier an deinem hübschen Ohr klebt, rote Farbe. Pfui, schäme dich, solch großer Junge – na, laß nur die Mutter nach Hause kommen, die wird dir das Fell schon gerben.«

Springinsfeld, das Hasennesthäkchen, trollte sich weinend in seinen Schmollwinkel. Er hatte es doch auch gar zu schlecht auf dieser Welt, nichts war ihm erlaubt! Trotz seines Bittens und Bettelns hatten ihn die Eltern nicht mit auf die große Osterreise genommen. All seine Brüder und Schwestern waren in den neuen Frühjahrskleidchen mit ihren bunten Ostereiern zur Erde hinaufgesprungen, und nur er mußte hier unten in dem langweiligen Nest beim Großvater bleiben. Er sei noch zu klein – hieß es – nein, er wollte auch einmal auf die schöne Erde, wo die Sonne so golden schien, und die Osterblümchen im Winde nickten!

Auf leisen Pfötchen schlich sich Springinsfeld zu der mit grünem Moosteppich belegten Treppe, da knarrte die Baumrindentür. Großvater Stumpfzahn, der eben ein Nickerchen gemacht hatte, fuhr verschlafen hoch.

»Springinsfeld, wohin?« fragte er. – Der Kleine wurde rot bis an das braune Stirnhaar.

»Ich langweile mich so« – stotterte er ganz beschämt.

»Aha – und da wolltest du heimlich auskratzen – das ist ja recht niedlich!« Großvater Stumpfzahn nickte ernst mit dem würdigen Haupt und schaute den kleinen Sünder vorwurfsvoll an.

»Ach Großvater, lieber Großvater«, Springinsfeld sprang dem alten Herrn mit einem großen Satz auf den Schoß und schlang beide Pfötchen um seinen Hals. »Sei nur nicht böse – ich will es auch gewiß nicht wieder tun, aber erzähle mir auch was, Großvater – ja?« Schmeichelnd fuhr er mit seinem spitzen Schnäuzchen über Großvaters runzliges Gesicht.

»Na, dann hole dir nur fix deinen Kinderstuhl herbei,« sagte der gute Großvater Stumpfzahn leise schmunzelnd.

Und nun saßen der Großvater und das Enkelchen am flackernden Herdfeuer traulich nebeneinander.

»Was möchtest du hören?« fragte Großvater. »Blumenmärchen, Jagdgeschichten oder –«

»Nein, bitte, von der Erde erzähle mir, von den Kindern, die dort leben, Großväterchen, oder bist auch du noch nie oben auf der Erde gewesen?«

Der Großvater lachte, daß seine Ohren wackelten.

»Kiekindiewelt, als an dich noch gar nicht zu denken gewesen, da war ich schon der bekannteste Osterhase weit und breit. Und aus Ost und West, aus Nord und Süd schrieben die kleinen Menschenkinder auf der Erde an mich und bestellten sich ihre Eier zum Ostersonntag.

»Sind die Kinder auf der Erde stets brav, Großvater?« erkundigte sich der kleine Hasenjunge ein wenig verlegen.

»Na – immer auch nicht,« meinte der Großvater und kraute sich mit der linken Pfote nachdenklich hinter dem Ohr. »Einmal – ich weiß es noch wie heute – stand ich vor der Tür einer Kinderstube. Drinnen tobte die wilde Hilde mit dem kleinen Brüderchen Franz. Lautes Getöse erscholl durch die geschlossene Tür. Ich lugte durch eine Türspalte, und was sehe ich? Da hatte die große Hilde das kleine Brüderchen zu Boden geworfen. Sie kniete auf seiner Brust und hageldicht sausten die Stöße, Knuffe und Schläge auf das arme Kerlchen hernieder.«

»Ich sag' es dem Osterhasen, wenn du so grob bist,« weinte der kleine Franz, »kein einziges Ei soll er dir bringen!«

»Pah – der Osterhase,« hörte ich Hilde sagen, »Osterhasen gibt es überhaupt nicht, ich glaub' nicht an den Osterhasen, bin schon viel zu groß dazu« – und dabei stand ich doch hinter der Tür. »Neunmalklug,« rief ich erregt durch das Schlüsselloch, »du Naseweis – warte, dir bringt der Osterhase diesmal ganz sicher keine bunten Eier«! Doch die Hilde verstand meine Hasensprache nicht. Aber das verstand sie am andern Tage, als der kleine Bruder überall in allen Ecken und Eckchen herrliche Ostereier mit dem Namen »Franz« fand, daß sie dieses Jahr ganz leer ausgehen mußte. Weinend durchsuchte sie jedes Winkelchen im Hause, aber wer nicht an Osterhasen glaubt, dem bringt er auch keine Eier!«

»Was hast du denn aber mit Hildes Ostereiern angefangen, Großvater,« fragte der kleine Springinsfeld, der mit andächtig gefalteten Pfötchen der Erzählung gelauscht hatte.

Großvater Stumpfzahn nahm bedächtig eine Prise aus seiner großen Schnupftabakdose und fuhr fort: »Ja, nachdem ich nun die ganze Nacht von Haus zu Haus, treppauf, treppab gelaufen war, setzte ich mich gegen Morgen müde auf den Prellstein eines Hauses. Und als ich so zugucke, wie die Morgenröte der noch ganz verschlafen dreinschauenden Erde ein pupurn leuchtendes Festkleid überzieht, höre ich mit einem Male Kinderstimmen im Hausflur.

»Ach Linchen, – hast du die vielen, vielen Ostereier drinnen im Bäckerladen gesehen? Wenn ich doch nur ein einziges bekäme!«

»Wer sollte uns wohl Ostereier schenken, Tinchen«, vernahm ich darauf eine zweite, leise klagende Mädchenstimme, »an so arme Kinder, wie wir es sind, denkt der Osterhase nicht, die kennt er gar nicht!«

Die Haustür öffnete sich, zwei dürftig gekleidete, kleine Mädchen traten heraus. In den Händchen hielten sie die Frühstücksbeutel, und am Arm schleppten sie große Körbe mit Osterkuchen – sie trugen in aller Herrgottsfrühe das Gebäck für den Bäcker aus.

»Wie Mutter noch gesund war, Linchen, da brachte uns der Osterhase immer ein paar Zuckereier, aber jetzt hat er uns ganz vergessen!« Damit gingen sie vorüber.

O – wie schämte ich mich, daß ich der armen Kinder nicht gedacht, daß ich keine Eier für sie in meiner Kiepe hatte! Aber plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke – die Ostereier der unartigen Hilde! Ja, die sollten die kleinen Mädchen haben. Leise, ganz leise huschte ich durch die warme Backstube in das Schlafzimmer des Bäckers. Der hatte die ganze Nacht Festkuchen gebacken und war erst vor kurzem wieder in die Federn gekrochen. Er schnarchte wie zehn Hasen und schlief wie alle Menschen mit zugemachten Augen. Ich breitete meine Ostereier auf dem Tisch aus und – hops, sprang ich auf sein Bett und flüsterte ihm ins Ohr, die Eier solle er Linchen und Tinchen vom Osterhasen abgeben, denn ich kannte ihre Adresse nicht. Er grunzte bejahend im Traume und drehte sich auf die andere Seite. Ich aber wartete hinter der Haustür, bis Linchen und Tinchen ein paar Stunden später mit glückseligen Augen aus dem Bäckerladen herauskamen.«

Großvater Stumpfzahn verstummte und räusperte sich vor Rührung.

»Kanntest du denn sonst immer die Wohnungen von all den vielen Kindern, Großväterchen?« fragte Springinsfeld, der atemlos zugehört hatte.

»Freilich – die waren stets in einem dicken Buch notiert. Einmal aber passierte eine drollige Geschichte.

Willis Eltern waren zu Ostern umgezogen, und der Kleine hatte vergessen, mir seine neue Adresse mitzuteilen. Ich hatte sie in der Schule erfahren. Aber was ich dort noch in Erfahrung gebracht, betrübte mich sehr.

Willi, der faule Junge, war nicht versetzt worden, eine schändliche Osterzensur hatte er mit nach Hause gebracht – nein, der kriegte diesmal keine Eier!

In dem Hause, in dem Willi früher gewohnt, hatte ich gar viel zu tun, in jedem Stockwerk gab es dort Kinder. Und als ich eilig die Treppen hinabspringe, wen treffe ich – Willi! Nanu – was hatte denn der hier noch im Haus zu suchen? Vorsichtig schlich ich hinter ihm her. An seiner früheren Wohnungstür klingelte er.

»Hat der Osterhase hier vielleicht Ostereier abgegeben?« fragte er ein wenig verlegen, als ihm geöffnet wurde.

»Jawohl«, sagte lächelnd die Frau, »meine Kinder sind eben auf der Suche.« Jubelndes Hallo erscholl aus den Zimmern.

»Ja – das – das – sind aber meine Ostereier, die gehören – ihnen – ja gar nicht,« stotterte Willi errötend. »Ja – ganz gewiß, Sie können es mir glauben, der Osterhase hat gedacht, ich wohne noch hier!«

Die Frau lachte, daß ihr die Tränen in die Augen traten. »Na, Kleiner, dann komm nur herein,« sagte sie freundlich, »der Osterhase hat auf jedes Ei den Namen geschrieben, nun schau zu, ob deiner dabei ist.«

Willi suchte und suchte – aber vergebens. Alle Kinder hatten die Hände voll Ostereier, aber für ihn war keins bestimmt. Traurig wollte er wieder davon.

»Hast du denn auch Ostereier verdient, mein Junge?« hörte ich da die Mutter der Kinder fragen. »Warst du denn auch brav im Hause und fleißig in der Schule?«

Willi senkte schuldbewußt den Kopf.

»Ich will mich ja bessern«, sagte er leise und die Tränen rannen über seine roten Backen.

Da aber stürzten die gutherzigen Kleinen auf ihn zu; in seinen Mantel, in seine Mütze und in die Tasche seiner Höschen taten sie von ihren Ostereiern. Das allerschönste suchte jedes für ihn aus.

Und ich – ich ließ es geschehen, denn ich wußte es, der Willi würde Wort halten und sich bessern.« –

Großvater Stumpfzahn sah gedankenvoll vor sich hin. Alte Zeiten waren wieder lebendig geworden, er dachte an so manche fröhliche Osterreise.

»Weiter, Großvater,« drängte sein Enkelchen, »erzähle doch weiter!«

»Siehst du, Springinsfeld,« begann er nach einem Weilchen wieder, nachdem er seine ausgegangene Pfeife in Brand gesetzt hatte, »auf der Erde gibt es Kinder, die sind so arm, daß sie nicht einmal eine Mutter haben.«

»Ach – hat der böse Jäger sie totgeschossen?« erkundigte sich das Hasenkind teilnehmend.

Großvater schmunzelte – was war der Junge doch aufgeweckt und klug. Aus dem wurde sicher mal was ganz Besonderes!

»Menschen schießt der Jäger nicht, nur uns armen Häschen stellt er nach«, erklärte der Großvater dem Kleinen und fuhr dann fort: »Ein vornehmes, kleines Prinzeßchen war's, in einem herrlichen Palast lebte es, das kostbarste Spielzeug besaß es, und stattliche Hofdamen und gallonierte Diener folgten ihm auf Schritt und Tritt. Und trotzdem war Prinzeßchen Gerda ärmer als das Bettelkind, das mit sehnsüchtigen Augen dem glänzenden Galawagen nachschaute, in dem das Prinzeßchen täglich spazieren fuhr – Prinzessin Gerda hatte keine Mutter!

Der König war mit Regieren beschäftigt, der kümmerte sich wenig um sein Töchterchen. Eine sehr vornehme und steife Hofmeisterin war beständig an des Prinzeßchens Seite, niemals durfte es fröhlich umherspringen, wie andere Kinder, denn das schickte sich nicht! Niemals durfte es hell und fröhlich lachen und jubeln, denn dann sagte die Hofmeisterin gleich würdevoll: »Aber Königliche Hoheit, das schickt sich doch nicht für ein kleines Prinzeßchen!«

Prinzeßchen Gerda aber stampfte mit den Füßchen recht wenig prinzessinnenhaft auf den Boden und rief weinend: »Ich will auch gar kein Prinzeßchen sein – ich will einen Schneemann machen, wie die Kinder unten auf der Straße, ich will den Kreisel peitschen, auf dem Spielplatz Sand schippen, und ich will eine Mama haben, wie all die anderen Kinder!« sie weinte bitterlich. Die Hofdamen aber ringsum machten erstaunte Augen, daß das Prinzeßchen so wenig königliche Wünsche habe, und die Hofmeisterin rümpfte die Nase: »Fi donc – wie unpassend!«

Und Prinzeßchen Gerda langweilte sich weiter.

Da kam Ostern heran. Ich hatte alle Hände voll zu tun und auch für das kleine Prinzeßchen, das mir trotz seiner Pracht und Herrlichkeit von Herzen leid tat, hatte ich ein paar Ostereier in meiner Kiepe.

»Ich möchte auch gern Ostereier suchen«, sagte Prinzeßchen Gerda verlangend zu einer Hofdame.

Die verneigte sich tief: »Ich werde sofort die kostbarsten Ostereier besorgen lassen und werde den Lakaien den Auftrag erteilen, für Königliche Hoheit zu suchen.«

»Nein« – rief das Prinzeßchen, »die dummen Lakaien sollen nicht für mich suchen, das tue ich selber! Und kostbare Eier mag ich überhaupt nicht, bunte Zuckereier will ich, blaue, rote und grüne, und der Osterhase soll sie mir verstecken!«

Aber die Hofmeisterin schüttelte ihr schön frisiertes Haupt und sprach gemessen: »Ostereier suchen ist ordinär – das ist nichts für Prinzeßchen!«

Am nächsten Morgen war Ostersonntag, und da wurde das Prinzeßchen vor den Thron des Königs befohlen.

»Gerda,« sagte der König und strich seinem Töchterlein über die goldenen Locken, »ich habe mich entschlossen, dir eine neue Mutter zu geben und dem Lande eine Königin. Begrüße sie – sie steht neben mir.«

Da machte das Prinzeßchen vor der schönen Frauengestalt einen tiefen, zeremoniellen Hofknix, wie sie es von ihrer Hofmeisterin gelernt hatte. Die neue Mutter aber lachte hell heraus, daß sich das kleine Prinzeßchen entsetzt umschaute, was wohl ihre Hofmeisterin dazu für ein Gesicht machte.

»Nein – so stehen wir beide nicht miteinander, mein Herzchen«, sagte die künftige Königin immer noch lachend, nahm das kleine Prinzeßchen in die Arme und küßte es zum Schrecken aller Hofdamen so herzlich, wie nur eine Mutter ihr Kind küssen kann.

Und des Prinzeßchens Augen strahltet,.

»Nun sollst du auch die Ostereier suchen, die mir der Osterhase für dich gegeben hat«, meinte die neue Mutter lächelnd. Jauchzend machte sich das Prinzeßchen ans Werk. War das eine Lust – lauter Jubel erscholl durch das sonst so stille Schloß, denn Prinzeßchen Gerda war jetzt so glücklich wie all die anderen Kinder – sie hatte eine Mutter und durfte Ostereier suchen!«

»Ach, das war schön«, sagte der kleine Springinsfeld tief aufatmend, als der Großvater schwieg.

Großvater Stumpfzahn aber spitzte seine langen Ohren und lauschte angestrengt.

»Junge – Springinsfeld – hör' nur, sie läuten ja schon das liebe Osterfest droben auf der Erde ein. Nun ist bald Nacht, marsch ins Bett – es ist höchste Zeit für solch kleinen Hasenjungen. Und auch ich alter Mann bin von dem vielen Erzählen müde und sehne mich nach Ruhe.«

Großvater und Enkelchen suchten beide ihr Blätterlager auf, still wurde es in der Hasenwohnung. Nur das Herdfeuer knisterte.



Der Hasenhirt (J.W. Wolf)
Es war einmal ein König von Portugal, der hatte eine sehr schöne Tochter und die hatte so viel Freier, daß sie sich ihrer nicht zu entschlagen wußte, und daß die Wahl ihr mit jedem Tage schwerer wurde, denn jeden Tag kamen ihrer einige Dutzende mehr in der Hauptstadt an. Da ließ der König endlich ein Gebot ergehen: wer ihm einen goldenen Apfel brächte, der solle die Prinzessin haben. Nun wäre es zwar leicht gewesen, sich einen goldenen Apfel beim Goldschmied machen zu lassen, aber damit war es nicht gethan, denn der Apfel mußte gewachsen sein und es gibt nur einen Baum in der Welt, worauf sie wachsen.
Nun verloren die meisten Freier den Muth, ein General aber behielt dessen genug und machte sich auf den Weg und kam in einen großen Wald, und als er den hinter sich hatte, da lag eine große Haide vor ihm und mitten auf der Haide stand der Wunderbaum und der glänzte ganz prächtig, so voll goldener, Aepfel war er. Kaum stand er daran, als ihm einer der goldenen Aepfel vor die Füße fiel. Den steckte er schnell in die Tasche, aber er war nicht mit einem zufrieden, sondern wollte ihrer mehr haben und rüttelte und schüttelte, aber es wollte keiner fallen. Da nahm er einen Stock und wollte sich welche herunter werfen, aber das half auch nichts, und er mußte sich mit dem einen begnügen, und zog ab. Als er wieder in den Wald kam, begegnete ihm ein kleines graues Männchen, das frug ihn: 'Ei, mein Freund, was hat er denn in seiner Tasche?' Der General sah das Männchen einmal von der Seite an und erwiederte unwirsch: 'Einen Dreck hab ich.' Da sprach das Männchen: 'Ist's ein Dreck, dann soll's auch ein Dreck bleiben,' und mit den Worten war es verschwunden.
Als der General in die Hauptstadt kam, da machte er groß Geschrei, daß er den goldenen Apfel habe, und als der König das hörte, ließ er schnell eine prächtige Mahlzeit anrichten; dabei saß der General neben der Prinzessin und meinte schon, er hätte sie. Ja, damit hatte es aber gute Weile, denn als ihm gegen das Ende der Tafel eine große goldene Schüssel vorgehalten wurde und er den goldenen Apfel darauf legen sollte, und er in die Tasche griff und den Wunderapfel herausziehen wollte, da hatte er einen Dreck in der Hand und der roch so übel, daß die Prinzessin ohnmächtig wurde, denn die war derartige Gerüche nicht gewohnt. Der König aber wurde ganz wüthend, denn er meinte, der General hätte ihn zum Narren halten wollen; er rief die Schildwache herein, und ließ den General in das dunkelste Gefängniß werfen und ihn nur mit Wasser und Brod traktiren, was dem General lange Zeit nicht zum Besten schmecken wollte.
Nun geschah es, daß ein gemeiner Soldat, der aber ein sehr gutes Herz hatte, desertirte, weil das Soldatenspielen ihm nicht gefiel und er lieber einerlei Tuch am Rock trug, als zweierlei. Der kam auch, aber ganz zufällig, in den großen Wald und da setzte er sich in's Gras, zog ein Stückchen Wurst und Brod aus der Tasche und schnitt's zu Scheiben und fing an, es zu verzehren. Indem er damit beschäftigt war, trat das graue Männchen zu ihm und sprach: 'Mich hungert sehr, gib mir auch ein Stückchen Brod und ein Scheibchen Wurst!' 'Von Herzen gern sagte der Soldat, schnitt eine dicke Scheibe vom dicksten Ende der Wurst ab, brach das Brod in zwei Theile und gab das größte Stück mit der Wurst dem Männchen. Da sprach das Männchen: 'Ich danke dir von Herzen und weil du so gut gegen mich warst, so will ich es auch gegen dich sein.' Und es zog einen goldenen Apfel aus dem Sack und ein Pfeifchen und gab's dem Soldaten und sprach: 'Mit dem Apfel kannst du dir die Königstochter erwerben, wenn du ihn dem König bringst, und das Pfeifchen wird dir auch schon gute Dienste tun.' Und fort war's, und der Soldat wußte gar nicht, wo es hingerathen war, das kleine graue Männchen. Da hätte einer den Menschen springen sehen können! Er konnte lang seiner Freude nicht Meister werden, aber langsam kam es doch, wenn auch sehr langsam, eben wie der alten Frau das Tanzen.
Sein erster Weg war jetzt natürlich zur Hauptstadt. Da ging er in das Schloß, trat vor den König und sprach: 'Herr König, ich habe den goldenen Apfel, womit man die Prinzessin erwerben kann.' - 'Hast du den Apfel, dann behalt ihn bis zu Ende der Mahlzeit,' sprach der König und ließ schnell Gäste laden und ein Gastmahl zurichten, und der Soldat saß neben der Prinzessin und konnte sich nicht satt sehen, weil sie so sehr schön war, konnte aber gar nicht essen, denn er hatte viel zu viel Freude und hielt stets die Hand am Sack, worin der kostbare Apfel war, denn er war bang, er könnt ihm noch gestohlen werden. Am Trinken ließ er es aber nicht fehlen. Gegen das Ende der Mahlzeit brachte man die goldene Schüssel und da griff er schnell in den Sack, zog den Apfel heraus und legte ihn auf die Schüssel, indem er sprach: 'Da habt ihr ihn, da ist er!' - 'Ach, wie schön,' rief der König und da riefen auch die anderen Alle: 'Ach, wie schön!' Der Soldat aber sprach: 'Jetzt hab ich euer Begehr erfüllt, Herr König, nun marsch zur Hochzeit, Jungfer Prinzessin!'
Dazu hatte die Königstochter aber nicht sonderliche Lust, denn der Soldat hatte so schlechte Kleider an und aus der Tasche guckte gar sein Stummelpfeifchen und ein Wurstzipfelchen, und außerdem hatte er so rauhe Hände und roch nach Tabak, so daß sie ein über das anderemal ihr Riechfläschchen vor die Nase hielt. Dem König gefiel der Schwiegersohn auch nicht zum Allerbesten und er meinte, es habe wohl noch Zeit bis in einigen Tagen. 'In Gottes Namen, wenn's nicht länger wird,' sprach der Soldat. 'Ich möchte mir auch einen andern Kittel machen lassen.' - Das ist gut, dachte der König. Kommt Zeit, kommt Rat.
Der König fing jetzt an nachzusinnen, wie er sich den Schwiegersohn ordentlicherweise vom Halse schaffen könne, aber es fiel ihm kein Mittel ein. Da dachte er an den General, der ihm stets mit klugen Rathschlägen zur Hand gewesen war, wenn der Schuh ihn irgendwo drückte, und er ließ ihn alsbald aus dem Gefängnisse holen und erzählte ihm Alles und frug ihn, was man dem Soldaten noch für ein schweres Stück aufgeben könnte. 'Das will ich euch sagen, Herr König,' antwortete der General. 'Laßt ihn hundert Hasen aus dem Thiergarten zusammentreiben; die soll er hüten, aber wenn einer ihm laufen geht, dann muß er seinen Kopf dafür lassen.' 'Das soll keinem Tauben gesagt sein,' sprach der König, ließ den Soldaten rufen und erklärte ihm kurz und gut, daß er nicht sein Schwiegersohn werden könne, wenn er nicht hundert Hasen drei Tage lang hüte. Darüber zog der Soldat ein kraus Gesicht, aber was half's? Es wurden hundert Treiber in den Thiergarten geschickt, die mußten die Hasen auftreiben und der Soldat stand mit dem General und dem König am Thor des Thiergartens und wie ein Hase heraussprang, zählte der General: Eins, zwei, drei, bis ihrer hundert waren, da machte er das Thor zu und der König sprach: 'Jetzt hast du ihrer hundert, wenn du sie nicht jeden Abend richtig heimführst, dann gilt's deinen Kopf.'
O weh, dachte der Soldat, und griff sich an den Kopf: er glaubte, er fühle ihn schon wackeln, denn nicht einer von den Hasen hatte gewartet, bis die hundert voll waren, sondern alle waren ins Feld und in den Wald gelaufen, was gibst du, was hast du. Der General lachte aber so recht falsch und der König hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht lachen zu müssen, denn der Streich sei allzu gut gelungen, meinte er. Während sie in das Schloß gingen, und dort ein großes Freudenmahl gehalten wurde, schritt der arme Soldat traurig dem Walde zu und dachte, es sei doch recht wahr: Wer mit großen Herren Kirschen esse, den würfen sie mit den Steinen. Am Walde setzte er sich in's Gras, da fiel ihm das Pfeifchen ein und er dachte: Ei jetzt will ich ein Stückchen pfeifen, was hab ich von dem Kopfhängen! Und er zog das Pfeifchen aus dem Sack und pfiff lustig und zugleich sprangen viele tausend Hasen von allen Seiten hinzu, so daß das ganze Feld mit ihnen voll war und aussah, wie ein großer Hasenpelz. Jetzt wuchs sein Muth wieder, er zählte sich hundert Hasen ab, hieß die Andern ihres Wegs laufen und machte sich einen Zeitvertreib, die hundert Hasen das Exerziren zu lehren.
Abends nach dem Essen saß der König mit seiner ganzen Familie vor der Thür des Schlosses, als plötzlich in der Ferne etwas laut pfiff. Er schaute hin und frug den General: "Ei was ist das für eine Armee, die da heranzieht?' Ja wohl war das eine Armee. Der Soldat marschirte wie ein General voraus und die hundert Hasen in vier Abtheilungen hinter ihm drein. Jede Abtheilung hatte drei Glieder, jedes von acht Hasen und einer hupfte als Offizier vor den anderen her. Alle trugen aber Stöckchen, gerade wie Gewehre, und als sie vor den König kamen, da schulterten sie und präsentirten wie die besten Soldaten.
Da ärgerte sich der General die Seele fast aus dem Leibe, aber er dachte bei sich: Halt, ich kriege dich doch! Er tröstete auch die Prinzessin, die schon wieder vor Schrecken in Ohnmacht gefallen war, es sei ja noch nicht aller Tage Abend und er werde schon sorgen, daß der Soldat morgen Abend nicht mehr alle hundert Hasen zusammen habe.
Am folgenden Morgen verkleidete sich der General als Jäger, kam zu dem Soldaten und frug ihn, ob er ihm nicht einen von den Hasen verkaufen wolle! 'Warum nicht?' sprach der Soldat, der gleich den General erkannte; 'aber ich fürchte, ihr findet meinen Preis nicht sehr annehmbar.' 'Ich bezahle dir so viel, wie du willst,' sagte der General, 'und wenn es tausend Dukaten sind, denn die Hasen gefallen mir allzu gut.' 'Von Dukaten ist die Rede nicht,' sprach der Soldat, 'aber für fünfzig Prügel ist er mir feil.' 'In Gottes Namen,' sagte der General, und der Soldat ging hin und schnitt sich ein junges Eichbäumchen, und der General mußte seinen Rücken entblößen und bekam fünfzig Prügel richtig gezählt und von der besten Sorte, denn der Soldat war ein handfester Bursch. Der General biß sich auf die Lippen, zuckte und zappelte, aber es half ihm nichts, und so hielt er aus und tröstete sich schnell, als er seinen Hasen bekam. Kaum war er aber fünfzig Schritt weg, da pfiff der Soldat sein Stückchen und sogleich schmiß der Hase den General vom Gaul, daß ihm Hören und Sehen verging und kam wieder und der General konnte gefoppt nach Hause gehen.
Da schickte die Prinzessin ihre Kammerjungfer weg, daß die dem Soldaten einen Hasen abschwatze. Die kam und that schön mit dem Soldaten und schmeichelte ihm und bat ihn, er möge ihr doch eins der Häslein verehren; sie gefielen ihr so gut, weil sie so geschickt seien. 'Von Verehren ist hier die Rede nicht, aber ihr könnt euch einen verdienen, 'sprach der Soldat, welcher den Pfiff wohl merkte. 'Sagt nur wie,' sprach sie, 'ich bin Köchin und will euch gut Essen besorgen.' 'Ich spreche nicht von Essen, aber für fünfzig Prügel könnt ihr ihn haben.' 'Wenn's nicht anders ist,' sprach sie, und der Soldat ging und schnitt sich einen Schwarzdornstecken und nahm ihr fünfzigmal das Maß auf dem Rücken, daß ihr die Augen dabei überliefen. Dann bekam sie ihr Häslein und konnte gehen, aber als sie kaum hundert Schritte weit war, da pfiff der Soldat und plumps lag sie auf dem Rücken und das Häslein war wieder bei seinen Kameraden.
Zu Hause erzählte sie ebenso wenig, wie es der General erzählt hatte, wie theuer ihr das Häschen zu stehen gekommen, sondern nur, daß sie es verdient gehabt hätte und daß es ihr wieder fortgelaufen sei. 'Du hast dich ungeschickt angelegt,' sagte die Prinzessin, 'ich werde schon eins heim bringen.' Und sie zog sich als Wildprethändlerin an und ging selber hin, that auch recht schön mit dem Soldaten und sagte ihm, sie wolle ihm viele Hirsche und Rehe geben, wenn er ihr nur einen von seinen Hasen überlassen wolle. Der Soldat aber erkannte sie auf den ersten Blick, that jedoch nicht, als ob er etwas merke und sagte: 'Von Tauschen ist hier nicht die Rede, aber ihr könnt euch ein Häslein verdienen.' 'Sagt nur wie,' sprach die Prinzessin. 'Mit sieben Küssen, sprach der Soldat. 'O weh! dachte die Prinzessin, das ist sauer, aber sie hielt doch her und der Soldat sprang bei jedem Kuß mannshoch vor Freude, während sie ein Gesicht schnitt, als ob sie Essig und Pfeffer und Wermuth verschluckt hätte. Dann bekam sie ihr Häschen und sprang vor Freude selber wie ein Häschen, denn sie dachte des Soldaten jetzt los zu sein. Als sie aber ihrem Vater, der ihr entgegen gekommen war, das Häschen zeigen wollte, da ging ein lauter Pfiff und husch war das Häslein weg und wieder bei seiner Sippschaft. Sie hütete sich aber wohl, zu erzählen, wie sie es verdient hatte.
Daß dich das Mäuslein biss'! fluchte der König, als er das sah; jetzt will ich doch selber wissen, ob ich nicht einen Hasen bekommen kann! Und er verkleidete sich auch und ging auch zum Soldaten, der ihn alsbald erkannte. 'Sind dir die Hasen feil?' frug der König. 'Ja,' sprach der Soldat, 'aber ich verkaufe sie nicht, ihr müßt sie verdienen.' 'Gut, aber wie?' frug der König. 'Wenn ihr dreimal den Gaul dort am Schwanz küßt und dazwischen jedesmal in die Faust trompetet, dann schenk ich euch einen Hasen.' Der König zog einen schiefen Mund, aber der Soldat sah nicht aus, wie einer, der leicht seinen Willen ändert, und somit ging der König an sein schweres Werk, und als er es vollendet, bekam er seinen Hasen, den er wohl und sicher bei den Ohren faßte und triumphirend nach Hause trug. Als er ihn aber gerade der Prinzessin zeigen wollte, scholl des Soldaten Pfeifchen und fort war der Has, und der König meinte vor Aerger in die Luft zu fliegen, als der Soldat Abends wieder mit seiner Armee einrückte. Er ließ darum den General holen und die beiden sannen ein neues schweres Stück für den Soldaten aus.
Als dieser am dritten Tage seine Armee auf die Weide führen wollte, ließ ihn der König rufen, zeigte ihm einen Sack, der war hundert Ellen lang und hundert Ellen breit und gab ihm auf, den voll Wahrheiten zu machen, wenn er das nicht könne, dann werde ihm der Kopf abgeschlagen. 'Das will ich gerne und das ist leicht,' sprach der Soldat, und fuhr dann also fort: 'Ich habe hundert Hasen bekommen, die sollt ich hüten, daß nicht einer davon spränge. Ist das nicht wahr?' - 'Das ist wahr,' sprach der König. 'Marsch in den Sack ihr Hasen!' rief der Soldat und hups, hups sprangen die Häslein in den Sack, und der Soldat fuhr fort: 'Als ich mit ihnen auf der Weide war, kam ein Jäger und wollte mir einen Hasen abkaufen; das wollt ich nicht und sprach, er solle sich ihn verdienen, und da hat er sich ihn mit fünfzig derben Prügeln verdient; ist das nicht wahr, Herr General?' - 'Das ist gelogen!' schrie der General, aber der Soldat sprach: 'Knüpft ihm nur das Wamms los, ihr könnt sie noch alle fünfzig zählen, denn sie hatten ihr volles Gewicht und keiner war zu leicht.' Da befahl der König, daß der General seinen Rücken zeige, und als Jedermann die Striemen darauf sah, da mußte der General zu den Häslein in's Quartier. Der Soldat aber erzählte weiter: 'Dann kam ein Jüngferlein zu mir, eine Köchin, die wollte mich mit Schmeicheleien fangen und mit gutem Essen und Trinken locken, aber ich ließ mich nicht hinter's Licht führen und sie mußte auch ihr Häslein verdienen und zwar mit fünfzig Prügeln. Das war die Kammerjungfer der Prinzessin, ist das wahr, oder nicht?' - 'Ist das wahr?' frug der König, aber die Kammerjungfer war nicht zu finden. 'Nun wo ist sie denn?' frug der König. Da rief sie aus dem Sack heraus: 'Ich bin schon hier, es ist wahr, es ist Alles wahr.' Nun weiter sprach der Soldat: 'Darauf kam eine Wildprethändlerin, die bot mir Hirsche und Rehe an, aber sie sollte auch ihr Häslein verdienen.' - 'Es ist wahr, es ist wahr!' rief die Prinzessin, welche rot war bis hinter die Ohren, und der Soldat hielt den Sack auf und husch war sie hinein. 'Jetzt weiter,' sprach der Soldat, und der König rückte unruhig hin und her auf seinem Thron, als ob's ihm nicht recht behaglich darauf wär, grad als säß er auf Nadeln, Disteln und Dornen. Daran kehrte sich der Soldat aber nicht, sondern fuhr fort: 'Zuletzt kam einer, der sich auch sein Häslein verdienen wollte, aber der hat's kurios verdienen müssen. Ich hab ihm aufgegeben' - - 'Still, still, still!' rief der König. 'Der Sack ist ja ganz voll und kein Platz mehr darin. Morgen hältst du Hochzeit.'
Da öffnete der Soldat den Sack und ließ alle Wahrheiten wieder heraus und am folgenden Tage hielt er Hochzeit und hatte genug zu leben, und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch.



Das hässliche Entlein (H.C. Andersen)
Draußen auf dem Land war es herrlich. Es war Sommer! Das Korn stand in einer Gelben Blüte und auf den Wiesen stand das Heu in Schobern aufgesetzt und der Storch stelzte auf seinen roten Beinen umher und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Mutter gelernt.

Rings um den Acker und den Wiesen zogen sich große Wälder und inmitten dieser befanden sich tiefe Seen. Ja, es war wirklich herrlich da draußen auf dem Lande! Mitten im warmen Sonnenschein lag dort ein altes Rittergut, von tiefen Kanälen umgeben, und von der Mauer an bis zum Wasser hinunter wuchsen dort große Kletterblätter, die so hoch waren, dass unter den größten kleine Kinder aufrecht stehen konnten. Darin war es so wild wie im tiefsten Walde. Hier saß eine Ente auf ihrem Neste, um ihre Jungen auszubrüten, aber jetzt war sie dessen fast überdrüssig. Ihr war langweilig, weil es doch gar zu lange dauerte und sie dabei so selten Besuch bekam. Die anderen Enten schwammen lieber in dem See, anstatt sich neben Ihr zu setzten und zu schnattern.

Endlich sprang ein Ei nach dem andern auf. „Piep, piep!“ sagte es und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus. „Rapp, Rapp!“ rief sie, und da rappelten und beeilten sie sich nach Kräften und schauten unter den grünen Blättern nach allen Seiten umher. Ihr Mutter lies sie nach allen Seiten schauen, so viel sie nur wollten, den die Welt zu entdecken ist wichtig.

„Wie groß ist doch die Welt!“ sagten alle Jungen; denn freilich hatten sie jetzt ganz anders Platz als zu der Zeit, da sie noch drinnen im Ei lagen. „Glaubt Ihr, dass das schon die ganze Welt sei?“ fragte die Mutter. „Diese erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens hinaus bis in das Feld des Pfarrers; aber da bin ich selbst noch nie gewesen! Seit Ihr alle beisammen?“ wollte die Mutter wissen und erhob sich. „Nein, ich habe noch nicht alle! Das größte Ei liegt noch da! Wie lange soll denn das noch dauern? Nun habe ich es wirklich bald satt!“ Und so setzte sie sich wieder. „Nun, wie geht es?“ fragte eine alte Ente, die auf Besuch gekommen war. „Es währt so lange mit dem einen Ei!“ sagte die Ente, die da saß. „Es will einfach nicht entzwei gehen und zeigt noch kein Loch in demselben. Aber nun sollst du die andern sehen. Es sind die hübschesten jungen Enten, die ich je gesehen habe.“

„Zeige mir doch das Ei, welches nicht bersten will,“ meinte die Alte. „Verlaß dich darauf, es ist ein Putenei. So bin ich auch einmal genarrt worden und ich hatte meine liebe Not mit den Jungen, denn sie fürchteten sich vor dem Wasser, kann ich dir sagen. Erst konnte ich sie gar nicht ausbekommen, so viel ich auch rappte und schnappte, ermahnte und nachhalf! — Laß mich doch das Ei sehen! Ja, das ist ein Putenei! Laß es liegen und lehre lieber deine andern Kinder schwimmen!“

„Ich will doch noch ein wenig darauf sitzen bleiben!“ sagte die Ente. „Habe ich nun so lange gelegen, kommt es auf etwas länger auch nicht an!“ - „Jeder nach seinem belieben!“ sagte die alte Ente und ging von dannen. Endlich zerbrach auch das große Ei. „Piep, Piep!“ sagte das Junge und kroch heraus. Es war sehr groß und hässlich. Die Ente betrachtete es. „Das ist doch ein großes gewaltiges Entlein!“ sagte sie. „Keines von den andern sieht so aus. Sollte es wirklich eine junge Pute sein? Nun, da wollen wir bald dahinterkommen! In das Wasser muss es, und sollte ich es selbst hineinstoßen!“

Am nächsten Tage war prächtiges herrliches Wetter! Die Sonne schien heiß auf alle die grünen Kletten hernieder. Die Entleinmutter erschien mit ihrer ganzen Familie am Kanal. Platsch! sprang sie in das Wasser. „Rapp, rapp!“ rief sie und ein Entlein nach dem andern plumpste hinein. Das Wasser schlug ihnen über dem Kopf zusammen, aber sie tauchten gleich wieder empor und schwammen stolz dahin, die Beine bewegten sich von selbst und alle waren im Wasser, selbst das hässliche, graue Junge schwamm mit.

„Nein, das ist keine Pute!“ sagte sie. „Sieh nur, wie hübsch es die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält. Ich werde zeigen, wie schön die weite Welt ist und euch im Entenhofe vorstellen, aber haltet euch immer in meiner Nähe, damit euch Niemand trete, und nehmt euch vor der Katze in Acht!“ Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Ein erschrecklicher Lärm herrschte drinnen, denn zwei Familien bekämpften sich um einen Aalkopf, und trotzdem bekam ihn am Ende die Katze.
„Seht, so geht es in der Welt zu!“ sagte die Entleinmutter, und schnappte mit dem Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. „Gebraucht nur eure Beine,“ sagte sie, „seht zu, daß ihr euch etwas beeilt" und neigt den Hals vor der alten Ente dort. Sie ist die vornehmste von allen hier. Sie ist aus spanischem Geblüt, deshalb ist sie so dick und schwerfällig. Wie ihr seht, trägt sie einen roten Lappen um das Bein. Dieser ist etwas unvergleichliches Schönes und die höchste Auszeichnung zugleich, welche eine Ente erhalten kann. Ein wohlgezogenes Entlein setzt die Beine weit auseinander, gerade wie Vater und Mutter! Seht so! Neigt nun euren Hals und sagt: „Rapp!“

Und das taten sie. Aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie und schnatterten: „Seht da! Nun sollen wir diesen Anhang auch noch bekommen, als ob wir nicht schon genug wären! Pfui, wie das eine Entlein aussieht! Das wollen wir nicht unter uns dulden!“ Und sogleich flog eine Ente hin und biss es in den Nacken.
„Lass es in Ruhe!“ sagte die Mutter, „es tut ja niemand etwas!“ - „Aber es ist so groß und so ungewöhnlich“, sagte die beißende Ente. „und deshalb muss es verjagt werden!“

„Es sind hübsche Kinder, welche die Mutter hat!“ sagte die alte Ente mit dem Lappen um den Fuß herablassend. „Sämtlich sind schön mit Ausnahme des einen, welches missglückt ist! Ich wünschte, sie könnte es umbrüten!“ - „Das geht nicht, Ihr Gnaden!“ sagte die Entleinmutter. „Es ist nicht hübsch, aber es hat ein sehr gutes Gemüt und schwimmt ebenso vortrefflich wie eines der andern, ja ich darf sagen, fast noch etwas besser. Ich denke, es wird hübsch heranwachsen und mit der Zeit kleiner werden. Es hat so lange in dem Ei gelegen und konnte nicht die rechte Gestalt erhalten. Es ist überdies ein Enterich“, sagte sie „da macht es nicht viel aus. Er wird gute Kräfte erhalten und schlägt sich tapfer durch!“
„Die anderen Entlein sind ja ganz niedlich!“ sagte die Alte. „Tut nun, als ob ihr zu Hause wäret, und findet ihr einen Aalkopf, so könnt ihr mir ihn bringen!“ Und so waren sie wie zu Hause.

Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen und so hässlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und gehänselt von den Enten wie von den Hühnern. „Es ist zu groß,“ sagten sie allesamt, und der Puterhahn, welcher mit Sporen geboren war, und deshalb glaubte, dass er Kaiser wäre, blies sich wie ein Schiff mit vollen Segeln auf, ging gerade auf dasselbe zu, kollerte und wurde ganz rot am Kopfe. Das arme Entlein wusste weder, wie es stehen, noch wie es gehen sollte. Es war betrübt, dass es so hässlich aussah und von dem ganzen Entenhofe verspottet wurde.

So ging es den ersten Tag und später wurde es noch schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister waren recht unartig und sagten oft zu ihm: „Wenn dich nur die Katze holen wollte, du hässliches Ding!“ und die Mutter seufzte: „Wärest du nur weit fort!“ Die Enten bissen es, die Hühner hackten es und die Futtermagd stieß es mit dem Fuße.
Da lief und flog es über den Zaun des Geheges; die Vöglein in den Büschen erhoben sich erschrocken in die Luft. „Das geschieht, weil ich hässlich bin“ dachte das Entlein und schloss die Augen, lief aber dennoch weiter. So gelangte es bis zu einem großen Moore, in dem die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht, denn es war sehr müde und kummervoll.

Am Morgen flogen die wilden Enten auf und erblickten den neuen Kameraden. „Was bist du denn für ein Landsmann?“ fragten sie, und das Entlein drehte sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.
„Du bist außerordentlich hässlich!“ sagten die wilden Enten, „aber das kann uns gleichgültig sein, wenn du nur nicht in unsere Familie hinein heiratest!“ Das Arme, es dachte wahrlich nicht ans Heiraten. Ihm war nur daran gelegen, die Erlaubnis zu erhalten, im Schilfe zu liegen und Moorwasser zu trinken.

Zwei ganze Tage lang hatte es da gelegen, als zwei wilde Gänse oder vielmehr Gänseriche dorthin kamen. Sie waren noch nicht gar lange aus dem Ei gekrochen und deshalb auch etwas vorschnell.
„Höre, Kamerad, du bist so hässlich, dass du förmlich hübsch bist und wir dich gut leiden können. Willst du zu uns halten und Zugvogel sein?“ fragten sie. „Piff, Paff!“ ertönte es, da plötzlich und beide wilde Gänseriche fielen tot in das Schilf hinab und das Wasser wurde blutrot. „Piff, paff!“ knallte es abermals und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf, und dann knallte es wieder. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moor herum, ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Röhricht hinstreckten. Der blaue Pulverdampf zog wie Wolken durch die dunklen Bäume hindurch und ging weit über das Wasser hinaus. Zum Moor kamen die Jagdhunde hin. Das war ein Schreck für das arme Entlein! Es drehte den Kopf, um ihn unter die Flügel zu stecken, als in demselben Augenblicke ein fürchterlich großer Hund dicht vor ihm stand; die Zunge hing dem Tiere ganz lang aus dem Halse und die Augen funkelten gräulich hässlich. Er berührte das Entlein fast mit der Schnauze, zeigte ihm seine scharfen Zähne und platsch, platsch ging er weiter, ohne es zu packen.

„Gott sei Dank!“ seufzte das Entlein, „ich bin so hässlich, dass mich selbst der Hund nicht beißen mag!“
So lag es ganz still, während die Schrotkörner durch das Schilf sausten und Schuss auf Schuss knallte.
Erst spät am Tag wurde es still, aber das arme Junge wagte noch nicht sich zu erheben. Es wartete noch mehrere Stunden, bevor es sich umsah. Dann eilte es, so schnell es konnte, fort aus dem Moor.
Gegen Abend erreichte es ein kleines Bauernhäuschen, welches in so traurigem Zustande war, dass es selbst nicht wusste, nach welcher Seite es fallen sollte, und so blieb es stehen. Der Sturm umsauste dermaßen das Entlein, dass es sich setzen musste, um Widerstand zu leisten. Und es wurde immer schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, dass sich die Tür aus der einen Angel gehoben hatte und so schief hing, dass es durch die Spalte in die Stube hineinschlüpfen konnte und das tat es.

Hier wohnte eine alte Frau mit ihrem Kater und ihrem Huhne; der Kater, welchen sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und spinnen. Er sprühte sogar Funken, wenn man ihm im Dunkeln gegen die Haare strich.
Das Huhn hatte sehr kleine niedrige Beine und deshalb wurde es Küken-Kurzbeinchen genannt. Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein und der Kater begann zu spinnen und das Huhn zu glucken. „Was ist das!“ sagte die Frau und schaute sich um, da sie aber nicht gut sah, hielt sie das Entlein für eine fette Ente, welche sich verirrt hatte. „Das ist ja ein seltsamer Fang!“ sagte sie, „nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Enterich ist! Das müssen wir erproben.“ So wurde denn das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen, aber Eier kamen nicht.

Nun war der Kater der Herr im Hause und das Huhn war die Frau. „Kannst du Eier legen?“ fragte es. „Nein!“ — „Nun gut, dann hast du hier im Hause nichts zu sagen!“
Und der Kater sagte: „Kannst du einen Buckel machen, kannst du spinnen, kannst du Funken sprühen?“ — „Nein!“ — „Dann darfst du auch durchaus keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!“
Und das Entlein saß im Winkel und war schlechter Laune. Da dachte es unwillkürlich an die frische Luft und den Sonnenschein und bekam so sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, dass es nicht länger unterlassen konnte, es dem Huhne anzuvertrauen.
„Was fehlt dir?“ fragte dasselbe. „Du hast nichts zu tun, deshalb plagen dich so seltsame Launen. Lege Eier oder spinne, dann gehen sie vorüber!“ - „Aber es ist so schön auf dem Wasser zu schwimmen!“ entgegnete das Entlein, „es ist herrlich, sich den Kopf in den Fluten zu kühlen oder auf den Grund niederzutauchen!“

„Ja, das ist ein großes Vergnügen!“ sagte das Huhn. „Du bist wohl verrückt geworden! Frage einmal den Kater, der ist der Klügste, den ich kenne, ob es ihm so angenehm vorkommt, auf dem Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen!“ „Ihr versteht mich nicht!“ sagte das Entlein. „Wir verstehen dich nicht? Wer sollte dich dann wohl verstehen! Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater und ich. Sieh zu, dass du Eier legst und spinnen und Funken sprühen lernst!“ - „Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!“ sagte das Entlein. „Ja, tue das!“ entgegnete das Huhn.

So ging das Entlein. Es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber von allen Tieren wurde es um seiner Hässlichkeit übersehen.
Nun fing der Herbst an seinen Mantel zu umweben; die Blätter im Walde wurden gelb und braun, der Wind entführte sie und wirbelte sie umher, sodass sie herumtanzten und oben in der Luft war es sehr kalt. Die Wolken hingen schwer von Hagel und Schneeflocken, und auf dem Zaune stand ein Rabe und schrie: „Au, au!“ vor lauter Kälte. Ja, man konnte schon ordentlich frieren, wenn man nur daran dachte.
Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut. Eines Abends, als die Sonne hinter den Hügeln verschwand, kam ein ganzer Schwarm prächtiger, großer Vögel aus dem Gebüsch hervor, wie sie das Entlein noch nie so schön gesehen hatte. Sie waren blendend weiß und hatten lange geschmeidige Hälse; es waren Schwäne. Sie stießen einen eigentümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, großen langen Flügel aus und flogen aus den kalten Gegenden fort nach wärmeren Ländern, nach offenen Seen. Sie stiegen sehr hoch, so dass dem hässlichen jungen Entlein ganz seltsam dabei zu Mute wurde.

Oh es konnte die schönen, die glücklichen Vögel nicht vergessen, und so bald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es bis auf den Grund unter, und geriet, als es wieder emporkam, förmlich außer sich. Es wusste nicht, wie die Vögel heißen, auch nicht wohin sie zogen, aber doch hatte es dieselben lieb wie nie jemand zuvor. Das Entlein beneidete sie nicht. Wie hätte ihm auch nur in den Sinn kommen können, sich eine solche Schönheit zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen, wenn nur die Enten es hätten unter sich dulden wollen; — das arme hässliche Tier! Der Winter immer kälter! Das Entlein musste unermüdlich umher schwimmen, um das Zufrieren des Wassers zu verhindern. Aber in der Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. Es war so kalt, dass die Eisdecke krachte. Das Entlein musste fortwährend die Beine gebrauchen, damit sich das Loch nicht völlig schloss. zuletzt wurde es matt, lag ganz still und fror so im Eise fest.

In der Frühe des folgenden Morgens kam ein Bauer, der Mitleid mit dem armen Tier hatte. Er ging hin, zerschlug das Eis mit seinem Holzschuh, rettete es und trug es heim zu seiner Frau. Da lebte es wieder auf. Die Kinder wollten mit demselben spielen. Das Entlein glaubte, dass diese ihm weh tun wollten und fuhr in seiner Angst gerade in eine Milchschüssel, so dass die Milch in der Stube umherspritzte. Dann flog das Entlein auf das Gestell, auf welchem die Butter aufbewahrt wurde und von hier in die Milchtonne hinein und dann wieder in die Höhe. Da könnt ihr euch denken, wie es aussah! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange nach demselben, die Kinder liefen einander über den Haufen und versuchten das Entlein zu fangen. Nur gut, dass die Türe offen stand; so konnte sich das Entlein zwischen die Sträucher in den frisch gefallenen Schnee retten, und da lag es nun völlig erschöpft.

Allein, es würde wahrlich sehr traurig sein, all die Not zu erzählen, welche das Entlein in dem harten Winter auszustehen hatte. — Es lag im Moor zwischen dem Röhricht, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann; die Lerchen sangen und es begann ein herrlicher Frühling.

Da konnte das Entlein auf einmal seine Flügel, stärker sausten sie als zuvor und trugen es kräftig davon, und ehe dasselbe es recht wusste, befand es sich in einem großen Garten, wo die Äpfelbäume in voller Blüte standen, wo die Fliedersträuche dufteten und ihre langen, grünen Zweige zu den sich sanft dahinschlängelnden Bächen und Kanälen hinunter neigten! O wie war es hier so köstlich, so frühlingsfrisch! Und gerade vor ihm kamen aus dem Dickicht drei wunderschöne. prächtig, weiße Schwäne angeschwommen; sie brausten mit den Federn und schwammen leicht auf dem Wasser. Das Entlein erkannte die schönen Tiere und wurde von einer eigentümlichen Traurigkeit ergriffen.

„Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln, und sie werden mich tot beißen, weil ich, da ich so hässlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber besser von ihnen getötet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern gepickt, von der Hühnermagd gestoßen zu werden und im Winter alles mögliche Weh über sich ergehen zu lassen!“ Und es flog auf das Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen, die mit gesträubten Federn auf dasselbe losschossen.

„Tötet mich nur!“ sagte das arme Tier, neigte sein Haupt gegen den Wasserspiegel und erwartete den Tod, — aber was erblickte es in dem klaren Wasser?
Es sah sein eigenes Bild unter sich, aber es war nicht mehr ein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, hässlich und Abscheu erweckend, es war selbst ein schneeweißer Schwan mit stolzem Gefieder.
Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat! — Nun fühlte es sich glücklich über alle die Not und die Drangsal, welche es erduldet hatte. Nun erkannte es sein Glück an all der Herrlichkeit, die es überall begrüßte. — Und die großen Schwäne umschwammen es und streichelten es mit dem Schnabel.

Im Garten kamen einige kleine Kinder, sie warfen Brot und Körner in das Wasser und das Kleinste rief: „Seht, da ist ein neuer!“ Und die anderen Kinder riefen mit: „Ein neuer, ein neuer Schwan ist gekommen!“
Sie klatschten in die Hände, tanzten umher, holten Vater und Mutter herbei und es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen und sie sagten alle: „Der neue ist der schönste, so jung und so prächtig!“ Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.

Da fühlte er sich beschämt und verbarg den Kopf unter den Flügeln; es war ihm so eigen zu Mute, er wusste selbst nicht wie. Er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein gutes Herz wird niemals stolz. Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt wurde und nun hörte er alle sagen, er wäre der schönste von allen schönen Vögeln. Selbst die Fliedersträuche neigten sich zu ihm in das Wasser hinunter, und die Sonne schien warm und erquickend. Da sträubte er sein Gefieder, der schlanke Hals erhob sich und aus Herzensgrunde jubelte er: „So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das hässliche Entlein war!“



Die Gänsemagd (Brüder Grimm)
Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollte und nun das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte. Und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: "Liebes Kind, verwahre sie wohl, sie werden dir unterwegs not tun."

Also nahmen beide voneinander betrübten Abschied. Das Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und sprach zu ihrer Kammerjungfer: "Steig' ab und schöpfe mir mit meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser aus dem Bache, ich möchte gern einmal trinken." - "Wenn Ihr Durst habt," sprach die Kammerjungfer, "so steigt selber ab, legt Euch ans Wasser und trinkt, ich mag Eure Magd nicht sein." Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank und durfte nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie: "Ach Gott!" Da antworteten die drei Blutstropfen: "Wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leib tät ihr zerspringen." Aber die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferde. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer: "Steig' ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken," denn sie hatte alle bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmütiger: "Wollt Ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht Eure Magd sein." Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach: "Ach Gott!" und die Blutstropfen antworteten wiederum: "Wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe tät ihr zerspringen." Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort, ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich, daß sie Gewalt über die Braut bekäme; denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau: "Auf Falada gehöre ich, und auf meinen Gaul gehörst du;" und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten, die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören, daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der Stelle umgebracht worden. Aber Falada sah das alles an und nahm's wohl in acht.

Die Kammerfrau stieg nun auf Falada und die wahre Braut auf das schlechte Roß, und so zogen sie weiter, bis sie endlich in dem königlichen Schloß eintrafen. Da war große Freude über ihre Ankunft, und der Königssohn sprang ihnen entgegen, hob die Kammerfrau vom Pferde und meinte, sie wäre seine Gemahlin. Sie ward die Treppe hinaufgeführt, die wahre Königstochter aber mußte unten stehenbleiben. Da schaute der alte König am Fenster und sah sie im Hof halten und sah, wie sie fein war, zart und gar schön; ging alsbald hin ins königliche Gemach und fragte die Braut nach der, die sie bei sich hätte und da unten im Hof stände und wer sie wäre?

"Die hab ich mir unterwegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was zu arbeiten, daß sie nicht müßig steht." Aber der alte König hatte keine Arbeit für sie und wußte nichts, als daß er sagte: "Da hab ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse, dem mag sie helfen." Der Junge hieß Kürdchen (Konrädchen), dem mußte die wahre Braut helfen Gänse hüten.

Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König: "Liebster Gemahl, ich bitte Euch, tut mir einen Gefallen!" Er antwortete: "Das will ich gerne tun." - "Nun, so laßt den Schinder rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten bin, den Hals abhauen, weil es mich unterwegs geärgert hat." Eigentlich aber fürchtete sie, daß das Pferd sprechen möchte, wie sie mit der Königstochter umgegangen war. Nun war das so weit geraten, daß es geschehen und der treue Falada sterben sollte, da kam es auch der rechten Königstochter zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich ein Stück Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen Dienst erwiese. In der Stadt war ein großes finsteres Tor, wo sie abends und morgens mit den Gänsen durch mußte, unter das finstere Tor möchte er dem Falada seinen Kopf hinnageln, daß sie ihn doch noch mehr als einmal sehen könnte. Also versprach das der Schindersknecht zu tun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Tor fest.

Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Tor hinaustrieben, sprach sie im Vorbeigehen:

    "O du Falada, da du hangest,"

da antwortete der Kopf:

    "O du Jungfer Königin, da du gangest,
    wenn das deine Mutter wüßte,
    ihr Herz tät ihr zerspringen."

Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld. Und wenn sie auf der Wiese angekommen war, saß sie nieder und machte ihre Haare auf, die waren eitel Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich, wie sie glänzten, und wollte ihr ein paar ausraufen. Da sprach sie:

    "Weh, weh, Windchen,
    nimm Kürdchen sein Hütchen,
    und lass'n sich mit jagen,
    bis ich mich geflochten und geschnatzt
    und wieder aufgesatzt."

Und da kam ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein Hütchen weg wehte über alle Land, und es mußte ihm nachlaufen. Bis er wiederkam, war sie mit dem Kämmen und Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen. Da ward Kürdchen bös und sprach nicht mit ihr; und so hüteten sie die Gänse, bis daß es Abend ward, dann gingen sie nach Haus.

Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Tor hinaustrieben, sprach die Jungfrau:

    "O du Falada, da du hangest,"

Falada antwortete:

    "O du Jungfer Königin, da du gangest,
    wenn das deine Mutter wüßte,
    ihr Herz tät ihr zerspringen."

Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fing an, ihr Haar auszukämmen, und Kürdchen lief und wollte danach greifen, da sprach sie schnell:

    "Weh, weh, Windchen,
    nimm Kürdchen sein Hütchen,
    und lass'n sich mit jagen,
    bis ich mich geflochten und geschnatzt
    und wieder aufgesatzt."

Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf weit weg, daß Kürdchen nachlaufen mußte, und als es wiederkam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es konnte keins davon erwischen, und so hüteten sie die Gänse, bis es Abend ward.

Abends aber, nachdem sie heimgekommen waren, ging Kürdchen vor den alten König und sagte: "Mit dem Mädchen will ich nicht länger Gänse hüten!" - "Warum denn?" fragte der alte König. "Ei, das ärgert mich den ganzen Tag." Da befahl ihm der alte König zu erzählen, wie's ihm denn mit ihr ginge. Da sagte Kürdchen: "Morgens, wenn wir unter dem finstern Tor mit der Herde durchkommen, so ist da ein Gaulskopf an der Wand, zu dem redet sie:

    'Falada, da du hangest,'

da antwortet der Kopf:

    'O du Königsjungfer, da du gangest,
    wenn das deine Mutter wüßte,
    ihr Herz tät' ihr zerspringen!'"

Und so erzählte Kürdchen weiter, was auf der Gänsewiese geschähe und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen müßte.

Der alte König befahl ihm, den nächsten Tag wieder hinauszutreiben, und er selbst, wie es Morgen war, setzte sich hinter das finstere Tor und hörte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach. Und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd die Herde getrieben brachte und wie nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:

    "Weh, weh, Windchen,
    faß Kürdchen sein Hütchen,
    und lass'n sich mit jagen,
    bis ich mich geflochten und geschnatzt
    und wieder aufgesatzt."

Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zurück, und als abends die Gänsemagd heimkam, rief er sie beiseite und fragte, warum sie dem allem so täte. "Das darf ich Euch nicht sagen und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab' ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben gekommen wäre." Er drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, aber er konnte nichts aus ihr herausbringen. Da sprach er: "Wenn du mir nichts sagen willst, so klag' dem Eisenofen da dein Leid," und ging fort. Da kroch sie in den Eisenofen, fing an zu jammern und zu weinen, schüttete ihr Herz aus und sprach: "Da sitze ich nun von aller Welt verlassen und bin doch eine Königstochter, und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahin gebracht, daß ich meine königlichen Kleider habe ablegen müssen, und hat meinen Platz bei meinem Bräutigam eingenommen, und ich muß als Gänsemagd gemeine Dienste tun. Wenn das meine Mutter wüßte, das Herz im Leib tät' ihr zerspringen." Der alte König stand aber außen an der Ofenröhre, lauerte ihr zu und hörte, was sie sprach. Da kam er wieder herein und ließ sie aus dem Ofen gehen. Da wurden ihr königliche Kleider angetan, und es schien ein Wunder, wie sie so schön war. Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut hätte: die wäre bloß ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier als gewesene Gänsemagd. Der junge König war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und guten Muts waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Rätsel auf, was eine solche wert wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte: "Welchen Urteils ist diese würdig?" Da sprach die falsche Braut: "Die ist nichts Besseres wert, als daß sie splitternackt ausgezogen und in ein Faß gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen ist; und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse auf Gasse ab zu Tode schleifen." - "Das bist du," sprach der alte König, "und hast dein eigen Urteil gefunden, und danach soll dir widerfahren." Und als das Urteil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit seiner rechten Gemahlin, und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.



Däumelinchen (H.C. Andersen)
Es war einmal eine Frau, die sich sehr ein ganz kleines Kind wünschte; aber sie wußte gar nicht, woher sie es nehmen sollte. Da ging sie zu einer alten Hexe und sagte zu ihr: "Ich möchte so herzlich gern ein kleines Kind haben; kannst Du mir nicht sagen, wo ich das bekommen kann?"
"O! damit wollen wir schon fertig werden!" sagte die Hexe. "Da hast Du ein Gerstenkorn; das ist gar nicht von der Art, wie die, welche auf des Landmanns Feld wachsen, oder welche die Hühner zu fressen bekommen; lege das in einen Blumentopf, so wirst Du was zu sehen bekommen!"
"Ich danke Dir!" sagte die Frau und gab der Hexe zwölf Schillinge, denn so viel kostete es. Dann ging sie nach Hause und pflanzte das Gerstenkorn; und sogleich wuchs da eine herrliche, große Blume, die sah aus, wie eine Tulpe; aber die Blätter schlossen sich fest zusammen, gerade als ob sie noch in der Knospe wäre.
"Das ist eine wunderhübsche Blume!" sagte die Frau und küßte sie auf die roten und gelben Blätter; aber gerade, indem sie darauf küßte, öffnete die Blume sich mit einem Knall. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte; aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Samengriffel ein ganz kleines Mädchen, so fein und niedlich! Sie war kaum einen halben Daumen hoch, und deshalb wurde sie Däumelinchen genannt.
Eine niedliche, lackirte Wallnußschale bekam sie zur Wiege, blaue Veilchenblätter waren ihre Matratzen und ein Rosenblatt ihr Deckbett. Da schlief sie des Nachts, aber am Tage spielte sie auf dem Tische, wo die Frau einen Teller hingestellt und ringsum mit einem Kranz von Blumen belegt hatte, deren Stengel in Wasser standen; darin schwamm ein großes Tulpenblatt, und auf diesem konnte Däumelinchen sitzen und von der einen Seite des Tellers nach der andern fahren; zum Rudern hatte sie zwei weiße Pferdehaare. Das sah einmal wunderhübsch aus! Sie konnte auch singen, und so fein und niedlich, wie man es noch nie gehört hatte. -
Einst, als sie Nachts in ihrem schönen Bette lag, kam eine häßliche Kröte durch das Fenster hereingehüpft, in dem eine Scheibe entzwei war. Die Kröte war sehr häßlich, groß und naß; sie hüpfte gerade auf den Tisch hinab, wo Däumelinchen lag und unter dem rothen Rosenblatte schlief.
"Das wäre eine schöne Frau für meinen Sohn!" sagte die Kröte; und da nahm sie die Wallnußschale, worin Däumelinchen schlief, und hüpfte mit ihr durchs Fenster, in den Garten hinunter.
Da floß ein großer, breiter Bach; aber das Ufer war sumpfig und morastig; hier wohnte die Kröte mit ihrem Sohne. Hu! der war häßlich und garstig und glich ganz seiner Mutter! "Koax, koax, brekkekekex!" Das war Alles, was er sagen konnte, als er das niedliche kleine Mädchen in der Wallnußschale erblickte.
"Sprich nicht so laut, denn sonst erwacht sie!" sagte die alte Kröte. "Sie könnte uns noch entlaufen, denn sie ist so leicht, wie ein Schwanenflaum! Wir wollen sie auf eins der breiten Nixenblumenblätter in den Bach hinaus setzen; das ist für sie, die so leicht und klein ist, gerade wie eine Insel! Da kann sie nicht davonlaufen, während wir die Staatsstube unten unter dem Morast, wo Ihr wohnen und hausen sollt, in Stand setzen."
Draußen in dem Bache wuchsen viele Nixenblumen mit den breiten grünen Blättern, welche aussehen, als schwämmen sie oben auf dem Wasser; das Blatt, welches am weitesten hinauslag, war auch das allergrößte; da schwamm die alte Kröte hinaus und setzte darauf die Wallnußschale mit Däumelinchen.
Das kleine, kleine Wesen erwachte früh Morgens, und als sie sah, wo sie war, fing sie recht bitterlich an zu weinen; denn es war Wasser zu allen Seiten des großen grünen Blattes, und sie konnte gar nicht an das Land kommen. -
Die alte Kröte saß unten im Morast und putzte ihre Stube mit Schilf und gelben Fischblattblumen aus; - es sollte da recht hübsch für die neue Schwiegertochter werden; - dann schwamm sie mit dem häßlichen Sohne zum Blatte hinaus, wo Däumelinchen war. Sie wollten ihr hübsches Bett holen, das sollte in das Brautgemach gestellt werden, bevor sie es selbst betrat. Die alte Kröte verneigte sich tief im Wasser vor ihr und sagte: "Hier siehst Du meinen Sohn, er wird Dein Mann sein; und Ihr werdet recht prächtig unten im Morast wohnen;"
"Koax, koax, brekkekekex!" war Alles, was der Sohn sagen konnte.
Dann nahmen sie das niedliche kleine Bett und schwammen damit fort; aber Däumelinchen saß ganz allein auf dem grünen Blatte und weinte, denn sie mochte nicht bei der garstigen Kröte wohnen oder ihren häßlichen Sohn zum Manne haben. Die kleinen Fische, welche unten im Wasser schwammen, hatten die Kröte wohl gesehen und auch gehört, was sie gesagt hatte: deshalb streckten sie die Köpfe hervor; sie wollten doch das kleine Mädchen sehen. Sobald sie es erblickten, fanden sie dasselbe so niedlich, daß es ihnen recht leid that, daß es zur häßlichen Kröte hinunter sollte. Nein, das durfte nie geschehen! Sie versammelten sich unten im Wasser rings um den grünen Stengel, welcher das Blatt hielt, auf dem es stand, nagten mit den Zähnen den Stiel ab, und da schwamm das Blatt den Bach hinab mit Däumelinchen davon, weit weg, wo die Kröte sie nicht erreichen konnte.
Däumelinchen segelte vor vielen Städten vorbei, und die kleinen Vögel saßen in den Büschen, sahen sie und sangen: "Welch liebliches kleines Mädchen!" Das Blatt schwamm mit ihr immer weiter und weiter fort; so reiste Däumelinchen außer Landes.
Ein niedlicher, kleiner weißer Schmetterling umflatterte sie stets und ließ sich zuletzt auf das Blatt nieder; Däumelinchen gefiel ihm, und sie war sehr erfreut darüber; denn nun konnte die Kröte sie nicht erreichen, und es war so schön, wo sie fuhr; die Sonne schien auf das Wasser und dieses glänzte, wie das herrlichste Gold. Sie nahm ihren Gürtel und band das eine Ende um den Schmetterling, das andere Ende des Bandes befestigte sie am Blatte; das glitt nun viel schneller davon und sie mit, denn sie stand ja auf demselben.
Da kam ein großer Maikäfer angeflogen, der erblickte sie und schlang augenblicklich seine Klauen um ihren schlanken Leib und flog mit ihr auf den Baum. Das grüne Blatt schwamm den Bach hinab, und der Schmetterling flog mit, denn er war an das Blatt festgebunden und konnte nicht von dem Blatte loskommen.
Gott, wie war das arme Däumelinchen erschrocken, als der Maikäfer mit ihr auf den Baum flog. Aber hauptsächlich war sie wegen des schönen weißen Schmetterlings betrübt, den sie an das Blatt festgebunden hatte; im Fall er sich nun nicht befreien könnte, müßte er ja verhungern. Allein darum kümmerte sich der Maikäfer gar nicht. Er setzte sich mit ihr auf das größte grüne Blatt des Baumes, gab ihr das Süße der Blumen zu essen und sagte, daß sie so niedlich sei, obgleich sie einem Maikäfer durchaus nicht gliche. Später kamen alle andern Maikäfer, die im Baume wohnten, und machten Visite; sie betrachteten Däumelinchen, und die Maikäferfräulein rümpften die Fühlhörner und sagten: "Sie hat doch nicht mehr als zwei Beine; das sieht erbärmlich aus!" "Sie hat keine Fühlhörner!" sagte eine andere. "Sie ist so schlank in der Taille; pfui! sie sieht wie ein Mensch aus! Wie sie häßlich ist!" sagten alle Maikäferinnen, und doch war Däumelinchen so niedlich. Das erkannte auch der Maikäfer, der sie geraubt hatte. Aber als alle die Andern sagten, sie sei häßlich, glaubte er es zuletzt auch und wollte sie gar nicht haben; sie könne gehen, wohin sie wolle. Nun flogen sie mit ihr den Baum hinab und setzten sie auf ein Gänseblümchen; da weinte sie, weil sie so häßlich sei, daß die Maikäfer sie nicht haben wollten, und doch war sie das Lieblichste, was man sich denken konnte, so fein und zart, wie das schönste Rosenblatt.
Den ganzen Sommer über lebte das arme Däumelinchen ganz allein in dem großen Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem Kleeblatte auf, so war sie vor dem Regen geschützt; sie pflückte das Süße der Blumen zur Speise und trank vom Thau, der jeden Morgen auf den Blättern stand. So vergingen Sommer und Herbst, aber nun kam der Winter, der kalte, lange Winter. Alle Vögel, die so schön vor ihr gesungen hatten, flogen davon; Bäume und Blumen verdorrten; das große Kleeblatt, unter dem sie gewohnt hatte, rollte zusammen, und es blieb nichts als ein gelber verwelkter Stengel zurück; und sie fror erschrecklich, denn ihre Kleider waren entzwei, und sie war selbst so fein und klein, das arme Däumelinchen: sie mußte erfrieren. Es fing an zu schneien, und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, war, als wenn man auf uns eine ganze Schaufel voll wirst; denn wir sind groß und sie war nur einen Zoll lang. Da hüllte sie sich in ein dürres Blatt ein, aber das riß in der Mitte entzwei und wollte nicht wärmen; sie zitterte vor Kälte.
Dicht vor dem Walde, wohin sie nun gekommen war, lag ein großes Kornfeld; aber das Korn war seit langer Zeit fort; nur die nackten, trocknen Stoppeln standen aus der gefrornen Erde hervor. Die waren gerade wie ein ganzer Wald für sie zu durchwandern; o, wie zitterte sie vor Kälte! Da gelangte sie vor die Thüre der Feldmaus. Die hatte ein kleines Loch unter den Kornstoppeln. Da wohnte die Feldmaus warm und gemüthlich, hatte die ganze Stube voll Korn, eine herrliche Küche und Speisekammer. Das arme Däumelinchen stellte sich in die Thüre, gerade wie ein armes Bettelmädchen, und bat um ein kleines Stück von einem Gerstenkorn, denn sie hatte seit zwei Tagen nicht das Mindeste zu essen gehabt.
"Du armes Thierchen!" sagte die Feldmaus, denn im Grunde war es eine gute alte Feldmaus; "komm herein in meine warme Stube und speise mit mir!"
Da ihr nun Däumelinchen gefiel, sagte sie: "Du kannst meinetwegen den Winter über bei mir bleiben, aber Du mußt meine Stube sauber und rein halten und mir Geschichten erzählen, denn die liebe ich sehr." Und Däumelinchen tat, was die gute alte Feldmaus verlangte, und hatte es dafür außerordentlich gut.
"Nun werden wir bald Besuch erhalten!" sagte die Feldmaus; "mein Nachbar pflegt mich alle Wochen ein Mal zu besuchen. Er steht sich noch besser, als ich, hat große Säle und trägt einen schönen, schwarzen Sammetpelz! Wenn Du den nur zum Manne bekommen könntest, so wärest Du gut versorgt. Aber er kann nicht sehen. Du mußt ihm die niedlichsten Geschichten erzählen, die Du weißt!"
Aber darum kümmerte sich Däumelinchen nicht; ihr lag gar nichts an dem Nachbar, denn es war ja ein Maulwurf.
Dieser kam und stattete in seinem schwarzen Sammetpelz Besuch ab. Er sei so reich und so gelehrt, sagte die Feldmaus; seine Wohnung sei auch über zwanzig Mal größer, als die der Feldmaus. Gelehrsamkeit besaß er, aber die Sonne und die schönen Blumen mochte er gar nicht leiden; von diesen sprach er schlecht, denn er hatte sie nie gesehen.
Däumelinchen mußte singen, und sie sang "Maikäfer, fliege!" und "Geht der Pfaffe auf das Feld". Da verliebte sich der Maulwurf in sie, der schönen Stimme halber; aber er sagte nichts: er war ein besonnener Mann. -
Er hatte sich vor Kurzem einen langen Gang durch die Erde von seinem bis zu ihrem Hause gegraben; in diesem erhielten die Feldmaus und Däumelinchen Erlaubniß, zu spazieren; so viel sie wollten. Aber er bat sie, sich nicht vor dem todten Vogel zu fürchten, der in dem Gange läge. Es war ein ganzer Vogel mit Federn und Schnabel, der sicher erst kürzlich gestorben war und nun begraben lag, gerade wo Jener seinen Gang gemacht hatte.
Der Maulwurf nahm ein Stück faules Holz in's Maul, denn das schimmert wie Feuer im Dunkeln, und ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen, finstern Gange. Als sie dahin kamen, wo der todte Vogel lag, stemmte der Maulwurf seine breite Nase gegen die Decke und stieß die Erde auf, sodaß ein großes Loch entstand, durch welches das Licht hinunterscheinen konnte. Mitten auf dem Fußboden lag eine todte Schwalbe, die schönen Flügel fest an die Seiten gedrückt, die Füße und den Kopf unter die Federn gezogen; der arme Vogel war sicher vor Kälte gestorben. Das that Däumelinchen so leid; sie hielt so viel von allen kleinen Vögeln, die hatten ja den ganzen Sommer so schön vor ihr gesungen und gezwitschert; aber der Maulwurf stieß ihn mit seinen kurzen Beinen und sagte: "Nun pfeift er nicht mehr! Es muß doch erbärmlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Gott sei Dank, daß keins von meinen Kindern das wird; ein solcher Vogel hat ja nichts außer seinem Quivit und muß im Winter verhungern!"
"Ja, das mögt Ihr, als vernünftiger Mann, wohl sagen," sagte die Feldmaus. "Was hat der Vogel für all sein Quivit, wenn der Winter kommt? Er muß hungern und frieren. Doch das soll wohl gar vornehm sein!"
Däumelinchen sagte nichts, als aber die beiden Andern dem Vogel den Rücken wandten, neigte sie sich herab, schob die Federn zur Seite, welche den Kopf bedeckten, und küßte ihn auf die geschlossenen Augen.
"Vielleicht war er es, der so hübsch vor mir im Sommer sang," dachte sie. "Wie viel Freude hat er mir nicht gemacht, der liebe, schöne Vogel!"
Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag herein schien, und begleitete dann die Damen nach Hause. Aber des Nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie aus ihrem Bette auf und flocht von Heu einen großen, schönen Teppich; den trug sie hin, breitete ihn über den toten Vogel aus und legte die feinen Staubfäden von Blumen, die weich wie Baumwolle waren, und die sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der kalten Erde warm liegen möge.
"Lebe wohl, Du schöner kleiner Vogel!" sagte sie. "Lebe wohl und habe Dank für Deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne warm auf uns herabschien!" Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Brust, erschrak aber zugleich, denn es war gerade, als ob drinnen etwas klopfte: Poch, Poch! Das war des Vogels Herz. Der Vogel war nicht todt; er lag nur betäubt da und war nun erwärmt worden und bekam wieder Leben.
Im Herbste fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern fort, aber ist eine da, die sich verspätet, dann friert die so, daß sie wie todt niederstürzt und liegen bleibt, wo sie hinfällt; der kalte Schnee bedeckt sie dann.
Däumelinchen zitterte ordentlich, so war sie erschrocken; denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war. Aber sie faßte doch Muth, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe, holte ein Krausemünzblatt, welches sie selbst zum Deckbett gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.
In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm, und da war er lebendig, aber ganz matt; er konnte nur einen kurzen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulem Holze in der Hand, denn eine andere Laterne hatte sie nicht, vor ihm stand. -
"Ich danke Dir, Du niedliches kleines Kind!" sagte die kranke Schwalbe zu ihr. "Ich bin so herrlich erwärmt worden! Bald erlange ich meine Kräfte wieder und kann dann draußen in dem warmen Sonnenschein herumfliegen!"
"O!" sagte sie, "es ist kalt draußen; es schneit und friert. Bleib in Deinem warmen Bette; ich werde Dich schon pflegen!"
Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatt, und die trank und erzählte ihr, wie sie sich den einen Flügel an einem Dornenbusch wund gerissen und deshalb nicht so schnell hätte fliegen können, als die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort, nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt auf die Erde gefallen, aber mehr konnte sie sich nicht entsinnen, und wußte gar nicht, wie sie hierher gekommen war.
Den ganzen Winter blieb sie nun da unten, und Däumelinchen pflegte sie und hatte sie so lieb: weder der Maulwurf, noch die Feldmaus erfuhren etwas davon, denn die mochten ja die arme Schwalbe nicht leiden.
Sobald das Frühjahr kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe dem Däumelinchen Lebewohl, die das Loch öffnete, welches der Maulwurf oben gemacht hatte. Die Sonne schien so herrlich zu ihnen herein, und die Schwalbe frug, ob sie mitkommen wolle; sie könne auf ihrem Rücken sitzen; sie wollten weit in den grünen Wald hineinfliegen. Aber Däumelinchen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie die so verließe.
"Nein, ich kann nicht!" sagte Däumelinchen.
"Lebe wohl, lebe wohl! Du gutes, niedliches Mädchen!" sagte die Schwalbe und flog hinaus in den Sonnenschein. Däumelinchen sah ihr nach, und die Thränen traten ihr in die Augen, denn sie war der armen Schwalbe so gut.
"Quivit, quivit!" sang der Vogel und flog in den grünen Wald. - Däumelinchen war sehr betrübt. Sie erhielt gar keine Erlaubniß, in den warmen Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, welches auf dem Felde, über dem Hause der Feldmaus, gesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; das war ein ganz dichter Wald für das arme kleine Mädchen, die ja nur einen Zoll lang war.
"Nun bist Du Braut, Däumelinchen!" sagte die Feldmaus. "Der Nachbar hat um Dich angehalten. Welch großes Glück für ein armes Kind! Nun mußt Du Deine Aussteuer nähen, sowohl Wollen- wie Leinenzeug; denn es darf an nichts fehlen, wenn Du des Maulwurfs Frau wirst!"
Däumelinchen mußte die Spindel drehen, und die Feldmaus mietete vier Spinnen, um Tag und Nacht für sie zu weben. Jeden Abend besuchte sie der Maulwurf und sprach dann immer davon, daß, wenn der Sommer zu Ende gehe, die Sonne lange nicht so warm scheinen werde; sie brenne ja jetzt die Erde fest wie einen Stein. Ja, wenn der Sommer vorbei sei, dann wolle er mit Däumelinchen Hochzeit halten. Aber die war gar nicht froh, denn sie mochte den langweiligen Maulwurf nicht leiden. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, und jeden Abend, wenn sie unterging, stahl sie sich zur Thüre hinaus, und wenn dann der Wind die Kornähren trennte, sodaß sie den blauen Himmel erblicken konnte, dachte sie daran, wie hell und schön es hier draußen sei, und wünschte sehnlichst, die liebe Schwalbe wiederzusehen. Aber die kam nie wieder; die war gewiß weit weg in den schönen, grünen Wald geflogen.
Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelinchen ihre ganze Aussteuer fertig.
"In vier Wochen sollst Du Hochzeit halten!" sagte die Feldmaus zu ihr. Aber Däumelinchen weinte und sagte, sie wolle den langweiligen Maulwurf nicht haben.
"Schnickschnack!" sagte die Feldmaus; sei nicht widerspenstig, denn sonst werde ich Dich mit meinen weißen Zähnen beißen! Es ist ja ein schöner Mann, den Du bekommst! Die Königin selbst hat nicht solch einen schwarzen Sammetpelz! Er hat Küche und Keller voll. Danke Du Gott dafür!"
Nun sollte die Hochzeit sein. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelinchen zu holen; sie sollte bei ihm wohnen, tief unter der Erde, und nie an die warme Sonne hinauskommen, denn die mochte er nicht leiden. Das arme Kind war so betrübt; sie sollte nun der schönen Sonne Lebewohl sagen, die sie doch bei der Feldmaus Erlaubniß gehabt hatte von der Thüre aus zu sehen.
"Lebe wohl, Du helle Sonne!" sagte sie, streckte die Arme hoch empor und ging auch eine kleine Strecke vor dem Hause der Feldmaus weiter; denn nun war das Korn geerntet, und hier standen nur die trockenen Stoppeln. "Lebe wohl, lebe wohl!" sagte sie und schlang ihre Arme um eine kleine rothe Blume, die dastand. "Grüße die kleine Schwalbe von mir, wenn Du sie zu sehen bekommst!"
"Quivit, quivit!" ertönte es plötzlich über ihrem Kopfe; sie sah empor; es war die kleine Schwalbe, die gerade vorbeikam. Sobald sie Däumelinchen erblickte, wurde sie sehr erfreut; diese erzählte ihr, wie ungern sie den häßlichen Maulwurf zum Manne haben wolle, und daß sie dann tief unter der Erde wohnen solle, wo nie die Sonne scheine. Sie konnte sich nicht enthalten, dabei zu weinen.
"Nun kommt der kalte Winter," sagte die kleine Schwalbe; "ich fliege weit fort nach den warmen Ländern; willst Du mit mir kommen? Du kannst auf meinem Rücken sitzen; binde Dich nur mit Deinem Gürtel fest; dann fliegen wir von dem häßlichen Maulwurf und seiner dunkeln Stube fort, weit weg, über die Berge, nach den warmen Ländern, wo die Sonne schöner scheint, als hier, wo es immer Sommer ist und es herrliche Blumen gibt. Fliege nur mit mir, Du liebes, kleines Däumelinchen, die mein Leben gerettet hat, als ich erfroren in dem dunkeln Erdkeller lag!"
"Ja, ich werde mit Dir ziehen!" sagte Däumelinchen, setzte sich auf des Vogels Rücken, mit den Füßen auf seine entfaltete Schwinge, und band ihren Gürtel an eine der stärksten Federn fest; da flog die Schwalbe hoch in die Luft hinauf, über Wald und über See, hoch hinauf über die großen Berge, wo immer Schnee liegt. Und Däumelinchen fror in der kalten Luft, aber dann verkroch sie sich unter des Vogels warme Federn und steckte nur den kleinen Kopf hervor, um all die Schönheiten unter sich zu bewundern.
Da kamen sie denn nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit heller, als hier: der Himmel war zweimal so hoch, und auf Gräben und Hecken wuchsen die schönsten grünen und blauen Weintrauben; in den Wäldern hingen Citronen und Apfelsinen; es duftete von Myrthen und Krausemünze, und auf den Landstraßen liefen die niedlichsten Kinder und spielten mit großen bunten Schmetterlingen. Aber die Schwalbe flog noch weiter fort, und es wurde schöner und schöner. Unter den herrlichsten grünen Bäumen an dem blauen See stand ein blendend weißes Marmorschloß, noch aus alten Zeiten! Weinreben rankten sich um die hohen Säulen empor; ganz oben waren viele Schwalbennester, und in einem derselben wohnte die Schwalbe, welche Däumelinchen trug.
"Hier ist mein Haus!" sagte die Schwalbe. Aber es schickt sich nicht, daß Du mit da wohnst; ich bin nicht so eingerichtet, daß Du damit zufrieden sein kannst; suche Dir nun selbst eine der prächtigsten Blumen, die da unten wachsen; dann will ich Dich hineinsetzen, und Du sollst es so gut haben, wie Du es nur wünschest!"
"Das ist herrlich!" sagte sie und klatschte in die kleinen Hände.
Da lag eine große weiße Marmorsäule, welche zu Boden gefallen und in drei Stücke gesprungen war; aber zwischen diesen wuchsen die schönsten großen, weißen Blumen. Die Schwalbe flog mit Däumelinchen hinunter und setzte sie auf eins der breiten Blätter. Aber wie erstaunte diese! Da saß ein kleiner Mann mitten in der Blume, so weiß und durchsichtig, als wäre er von Glas; die niedlichste Goldkrone trug er auf dem Kopfe und die herrlichsten Flügel an den Schultern; er war selbst nicht größer als Däumelinchen. Es war der Blume Engel. In jeder Blume wohnte so ein kleiner Mann oder eine Frau; aber dieser war der König über Alle.
"Gott, wie ist er schön!" flüsterte Däumelinchen der Schwalbe zu. Der kleine Prinz erschrack sehr über die Schwalbe, denn sie war ja gegen ihn, der so klein und fein war, ein ganzer Riesenvogel. Aber als er Däumelinchen erblickte, wurde er hoch erfreut; sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Deshalb nahm er seine Goldkrone vom Haupte und setzte sie ihr auf, frug, wie sie heiße, und ob sie seine Frau werden wolle; dann solle sie Königin über alle Blumen sein! Ja, das war wahrlich ein anderer Mann als der Sohn der Kröte und der Maulwurf mit dem schwarzen Sammetpelze. Sie sagte deshalb "Ja" zu dem herrlichen Prinzen. Und von jeder Blume kam eine Dame oder ein Herr, so niedlich, daß es eine Lust war; jeder brachte Däumelinchen ein Geschenk, aber das beste von allen waren ein Paar schöne Flügel von einer großen weißen Fliege; die wurden Däumelinchen am Rücken befestigt, und nun konnte sie auch von Blume zu Blume fliegen. Da gab es viele Freude, und die kleine Schwalbe saß oben in ihrem Neste und sollte das Hochzeitlied singen, und das that sie denn auch, so gut sie konnte; aber im Herzen war sie doch betrübt, denn sie war Däumelinchen so gut, o, gar so gut, und hätte sich nie von ihr trennen mögen. "Du sollst nicht Däumelinchen heißen!" sagte der Blumenengel zu ihr. "Das ist ein häßlicher Name und Du bist so schön. Wir wollen Dich Maja nennen."
"Lebe wohl, lebe wohl!" sagte die kleine Schwalbe mit schwerem Herzen und flog wieder fort von den warmen Ländern, weit weg nach Dänemark zurück. Dort hatte sie ein kleines Nest über dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen erzählen kann. Vor ihm sang sie "Quivit, quivit!" Daher wissen wir die ganze Geschichte.

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